Hebelnde Waende / flare unterstuetztend oder schaedlich?

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Hebelnde Waende / flare unterstuetztend oder schaedlich?

Beitrag von Pferdefreund » Mo 20. Apr 2015, 14:15

Ich finde dies ist eine wirklich sehr wichtige Frage und Diskussion, urspruenglich mal initiiert durch Nic Barker auf Rockley Farm.

Wann ist ein flare fuer den Huf eine Unterstuetzung und wann eine Last? Diese "HM" trimmer in England gehoeren Jamie Jackson's AANHCP an.

https://scontent-ord.xx.fbcdn.net/hphot ... e=55A28DAA

Mich interessiert besonders der links hinten auf dem Bild, dieser laterale flare. Der Huf ist nicht besonders sauber, aber ich wuerde sagen, die weisse Linie ist dort minimal gezerrt. HM behaupten, dass wenn die Dicke der Wand in dem flare gleich ist wie am rest des Hufes, dieser nicht ueber die harte Sohle hinaus gewachsen ist (i.e. Tragrandueberstand) und der Huf ansonsten balanziert ist, ist das ein natuerlicher flare, den das Pferd so braucht und den man tunlichst nicht anruehren soll.

Was ist Eure Meinung dazu? Welche Kriterien, wenn ueberhaupt welche, wendet ihr an um zu entscheiden ob eine hebelende Wand/flare einen unterstuetzende Funktion hat oder nicht?

Im Anhang noch Nic Barker's prominenter Fall von Dexter. Ich war ja vor 1.5 Jahren auf Rockley und habe mir dort selber die flares an Dexters Hufen angeschaut. Das Pferd laeuft so ueber all Boeden und springt sogar.
Slide1.jpg

Puschel
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Re: Hebelnde Waende / flare unterstuetztend oder schaedlich?

Beitrag von Puschel » Mo 20. Apr 2015, 15:20

Ich verstehe den Grundgedanken gar nicht. Wie soll ein Flare (flügelnde Wand) unterstützend wirken? Sprich, mehr Last tragen können als es die vergleichsweise unverbogene Wand an dieser Stelle täte?
Vielleicht sollte man sich eingestehen, dass ein Self-Trimming einfach nicht immer funktioniert, anstatt alle Hufdeformationen als natürlich hinzustellen.
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Re: Hebelnde Waende / flare unterstuetztend oder schaedlich?

Beitrag von Pferdefreund » Mo 20. Apr 2015, 15:53

ich denke mal in erster Linie ist es eine empirische Beobachtung, dass die Pferde nur so laufen koennen, und zwar auf recht hohem Niveau, was vorher mit allen moeglichen Massnahmen nicht moeglich war. Zweitens, und das ist mein eigener Gedanke, koennte ich mir vorstellen, dass wenn das Pferd z.B. bodeneng steht und beim Auftreten lateral ueber belastet, dann aber in der Stuetzphase auf medial kippt, der mediale flare das Einsinken in den Boden verhindert, oder die punktuelle Ueberbelastung der medialen Wand.

Puschel, warum gehst Du davon aus dass das Selbstrimmen nicht funktioniert? In den beiden Faellen waren die Pferde vorher mit Eisen beschlagen und als unbehebbar lahm eingestuft. Nun laufen sie auf hohem Niveau barhuf. Was genau funktioniert dabei dann nicht?

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Re: Hebelnde Waende / flare unterstuetztend oder schaedlich?

Beitrag von Pferdefreund » Mo 20. Apr 2015, 16:20

es gibt ja im Schmiedehandwerk anscheinend auch sowas wie den "lateral support shoe".

http://www.advancedfarrierspecialties.c ... humb_m.jpg

Als Erklaerung steht da:
"This shoe was created for a lateral-colateral ligament injury. Just like the suspensory shoe, the wider web creates a snowshoe effect by disallowing the lateral branch of the hoof to sink into the footing as easily as the medial branch. Also, the wider web dissapates ground reaction force, or concussion."

Ist das nicht die gleiche Denkweise, wie wenn sich das Pferd selber so einen flare hin waechst?
Zuletzt geändert von Pferdefreund am Di 16. Jun 2015, 11:44, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Hebelnde Waende / flare unterstuetztend oder schaedlich?

Beitrag von saskia » Mo 20. Apr 2015, 17:18

Ich hab aus allem was ich in nunmehr 3-4 Jahren angelesen hab, das Resumee gezogen : erstes Kriterium : ist die WL gezerrt oder nicht? Wenn ja, ist es ein Hebel, der zu korrigieren ist. Wenn die WL geschlossen ist, wären als nächstes die waagerechten Belastungslinien zu betrachten : sind sie parallel zueinander, ist die Belastungsverteilung in Ordnung und sollte so belassen werden. Sind die Linien einseitig gestaucht und haben auf der anderen Seite grössere Abstände zueinander, ist die Belastung nicht gleichmässig und daher zu korrigieren.
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Re: Hebelnde Waende / flare unterstuetztend oder schaedlich?

Beitrag von saskia » Mo 20. Apr 2015, 19:42

Sorry, hab den link erst nachträglich angeschaut. Zu dem fraglichen Huf hl : wenn's mein Pferd wäre, würde ich als erstes röntgen, um zu sehn wieviel von dem Hufbein noch übrig ist. Wenn das Hufbein durch den Dauerdruck der Wand in dem Bereich bereits atrophiert ist, kann man es wohl vergessen, die Wand wieder in eine Normalform zu bringen. Ob und wieweit noch korrigiert werden kann, wäre von dem Ausmass des Schadens abhängig.

Wenn das Hufbein noch normal ist, würde ich versuchen, den Huf *soweit möglich* in die Normalform zurück zu bringen. Mit dem Gedanken, dass eine vollständige "Normalform" wohl nicht wieder erreicht werden kann, aber eben so dass es sich langfristig nicht weiter verschlechtert. Überhaupt wäre erstmal die Frage, wie lange dieser Zustand bereits besteht (evtl ist es nur eine "Notfallmassnahme" des Hufes, um überhaupt laufen zu können, und evtl braucht er Hilfe, um langfristig nicht doch noch den Bach runter zu gehen.) Und zweitens die Frage, was ist "sound"? Evtl eine "nunmehr ausreichende Kompensationsfähigkeit"? Mancher chronische Rehehuf läuft auch wieder ganz ordentlich, ist deswegen aber nicht im eigentlichen Sinne "gesund".

Der Huf ist zwar nicht sauber (müsste man für ein halbwegs treffendes Urteil viel deutlicher sehen), aber im Bereich des lateral flares scheint mir die WL gezerrt. D.h. wenn man den Zustand so belässt, müsste - nach meinem Verständnis - dieser unzulänglich lasttragende Bereich nach und nach weiter hebeln, die nachwachsende Wand gerät weiter hinter die Senkrechte, und irgendwann kann's dann nicht mehr kompensiert werden und kollabiert die Wand komplett.
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Re: Hebelnde Waende / flare unterstuetztend oder schaedlich?

Beitrag von saskia » Mo 20. Apr 2015, 19:47

Pferdefreund hat geschrieben: ...HM behaupten, ......und der Huf ansonsten balanziert ist, ...]
Wie definieren die "Balanciert"? Wenn die waagerechten Belastungslinien nicht parallel verlaufen, woran erkennen diese Leute dann die Balancierung?
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Re: Hebelnde Waende / flare unterstuetztend oder schaedlich?

Beitrag von Pferdefreund » Mo 20. Apr 2015, 21:01

soweit ich weis machen sie anhand der Sohle fest, dass der Huf balanziert ist.

Hier ist das Pferd und seine 16 jaehrige Besizterin.
https://www.youtube.com/watch?v=kAEUOgkGEOY

Ich finde es auch schade, dass es kein Roentgenbild gibt. Das Mantra der AANCHP heisst aber "ignore all pathology", was soviel bedeutet wie egal welche Krankheiten der Huf hat, lese ihn so wie er ist und bearbeite ihn wie er es braucht.

Ich persoenlich glaube, dass die Belastungslinien nicht immer 100% parallel sind (definitiv nicht genau parallel zum Boden), und auch nicht immer 100% links wie rechts gleich gestaucht. Die meisten Hufe haben nicht diese 100%ige Idealsituation. Man kann dieer u.U. naeher kommen, aber nach meiner Erfahrung wird dann der Huf schnell sehr kurz, wenn das Pferd nicht gerade die ideale Konformation hat.

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Re: Hebelnde Waende / flare unterstuetztend oder schaedlich?

Beitrag von TinaH » Mo 20. Apr 2015, 21:17

Gott, wie furchtbar ist das denn... ich habs jetzt nur ohne Ton geschaut und sehe ein völlig ungepflegtes Pferd (aufgedunsener Bauch, rippig, kahle Placken im Gesicht und am Körper) auf einem zugeschissenen, zugemüllten, steinigen Platz mit einer ihm ins Kreuz plumsenden Reiterin... was soll das denn beweisen? Daß es toll ist, dem Pferd die Füße nicht zu bearbeiten?

Ich verstehs grad irgendwie nicht.
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Re: Hebelnde Waende / flare unterstuetztend oder schaedlich?

Beitrag von saskia » Mo 20. Apr 2015, 21:17

Das Mantra der AANCHP heisst aber "ignore all pathology"
Das klingt für mich wie das gegenteilige Extrem jener Bearbeiter, die den Huf unbedingt in vorgefertigte Winkelmasse und perfekte Symmetrie bringen wollen. Die Wahrheit liegt vermutlich zwischen diesen Extremen.
lese ihn so wie er ist und bearbeite ihn wie er es braucht.
Da musste ich grad lachen : DAS unterschreibt wahrscheinlich jede Bearbeitungsrichtung. Nur "liest" jede auf ihre eigene Art, und "was der Huf braucht", - das ist ja nun der Punkt an dem die Meinungen meilenweit auseinander gehen. Da bisher niemand IN einen lebenden Huf gucken kann, wird das leider "Interpretationssache" bleiben, mit all den Fehlerquoten die "Interpretationen" eigen sind.
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