Verständigungsproblem

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Martin
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Re: Verständigungsproblem

Beitrag von Martin » Di 24. Mär 2015, 09:32

Jeanne Dark hat geschrieben:Das würde ja dann bedeuten, dass die Hufbearbeitung, die vorher stattfand, für die Tonne war, wenn da 2mm entscheidend sind. :?:
Denn wenn ich mir den Huf, ohne Pferd anschaue, dann hat dieses Pferd ganz schön viel kompensieren müssen und das Hufbein war trotzdem noch parallel zum Boden. Würde der Huf jetzt nach den gängigen Richtlinien bearbeitet, DANN würde nichts mehr stimmen. Das lässt mich etwas zweifeln, speziell jetzt an der ganzen "...auf Sohlenniveau...."Theorie, niedrige Trachten und so.
Ich hab grad nen Knoten im Kopf. :angry-banghead:
Ich komme oft zu Hufen, bei denen die vorherige Arbeit komplett nutzlos war. Bedauerlicherweise kann das sogar so sein, dass man die falsche Bearbeitung erst gar nicht erkennt, weil der Huf äußerlich gut aussieht und man dann selbst das Falsche macht. Es ist auch manchmal gar nicht so leicht zu erkennen, ob ein Pferd schon kompensiert oder nicht und schon gar nicht welche Kompensation noch ok ist und welche schon kritisch.

Bezogen auf das tote Modell musst Du Dich von der Vorstellung lösen, dass ein Kippen des Hufes mit einem symmetrischen Kippen des Hufbeins einhergeht. Beim toten Huf ist das natürlich so, aber da zieht auch keine tiefe Beugesehne mehr mit einem riesigen Muskel dran, da gibt es auch kein komplexes Rezeptorsystem mehr und vorallem gibt es da kein Pferd, welches aktiv die Statik und die Belastung ändern kann. Aber zu Deinem Trost. Auf "Deine" Modellvorstellung sind Generationen von Tierärzten und Hufschmiede reingefallen. Sie verstanden den Huf als eine Art Holzklotz am Skelett, über dessen Winkel man das Skelett justieren könne. Weder erkannten sie die Flexibilität der Kapsel, noch die muskuläre Reaktion auf ihre Maßnahmen, nicht mal die Verschiebung der Fußungsfläche nach vorn bei langen Trachten ist allgemein aufgefallen. Allenfalls den Sehnen und Bändern gestand man noch einen Einfluss zu, aber das primär im Zusammenhang mit Pathologien oder das was man dafür hielt.

Es ist kein Trost, aber bewiesen ist an den ganzen Hufbearbeitungstheorien wenig bis gar nichts. Also kannst und sollst Du an den ganzen Sohlentheorien zweifeln. Bisher kenne ich allerdings aus der Praxis keinen besseren Ansatz, aber es würde mich auch nicht wundern, wenn wir hier in 5 Jahren im Forum ganz andere Ansätze diskutieren.

Martin

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Pferdefreund
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Re: Verständigungsproblem

Beitrag von Pferdefreund » Di 24. Mär 2015, 13:39

ich finde man kann an dem Huf schon einiges ablesen. Erstens denke ich ist es ein rechter Hinterhuf. Die mediale Seite des Hufes hat die steilere Hufwand als die laterale. Ja, die Trachten sind ueberwachsen, aber nicht so extrem dass sie nicht balanziert waeren. Ich denke wenn Du die Trachtenlaengen messen wuerdest waeren die so ziemlich gleich. Dieser Huf hat vermutlich in einem weichen Boden gelebt, evtl Sand. Da sind die Trachten haeufig hoeher, und das ist auch gut so. Man sieht auch dass die Stresslinien in den Eckstreben recht gleichmaessig sind auf beiden Seiten, was fuer mich fuer eine balanzierte Hufkapsel spricht. Fuer mich sieht das nach einem sehr guten Huf aus, der vermutlich in seiner Umgebung perfekt funktioniert hat. Es gibt keine Spannungsrisse, weder in der Wand noch in den Eckstreben. Wenn ich wetten muesste wuerde ich sagen, dass wenn die Trachten auf Sohlen Niveau gekuerzt werden, der Huf die exact gleiche Balanz haette, i.e. die Trachten waeren immer noch gleich lang medial und lateral, nur etwas kuerzer.

P.s. an den relativen Trachtenlaengen medial/lateral aendert das Austrocknen nichts. Der Huf trocknet ja nicht auf einer Seite mehr aus als auf der anderen

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Re: Verständigungsproblem

Beitrag von Pferdefreund » Di 24. Mär 2015, 13:51

Man muss den Huf immer relativ zu seiner Umgebung sehen. Das Problem fuer uns Reiter ist, dass unsere Pferde auf allen moeglichen verschiedenen Boeden zurechtkommen soll. Weshalb wir wahrscheinlich die Trachten kuerzen wuerden, wenn wir morgen einen Wanderritt planen, und das Pferd seit Monaten zum ersten Mal auf harten Boden kommt. Man muss da immer einen Kompromiss finden. Im Wanderritt auf Aspahlt waeren die Trachten definitiv zu hoch, das Hufbein zu steil, auf dem Sandpaddock aber nicht. Wenn man nun die Trachten fuer den Wanderrit kuerzt kann das Pferd auf Sand immer noch wunderbar leben, es bohrt dann einfach die Zehe noch mehr zuerst in den Sand. Auf tiefen Sandboden zeigen alle Pferde eine Zehenlandung, ausser vielleicht sie haben diese wunderbar hohen Trachten und bremsenden Eckstreben, die das einsinken in den Boden bei flacherer Landung verhindern.

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Re: Verständigungsproblem

Beitrag von Pferdefreund » Di 24. Mär 2015, 14:01

hier nochmal Bildlich ausgedrueckt was ich gerade versucht habe zu erklaeren. Das ist basierend auf Gene Ovniceks Arbeiten an Mustangs und unterschiedlichen Habitaten.
Ovnicek-Environment1.png
Ovnicek-Comparison1.jpg

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Re: Verständigungsproblem

Beitrag von Nupur » Di 24. Mär 2015, 14:29

Jeanne Dark hat geschrieben:Genau das, was Martin schreibt, habe ich mir auch gedacht, als ich den Huf sah. Oder zumindest so ähnlich.
Nur, warum dann der ganze Tanz um Hufbalance und sowas? Kann sich der Huf und das Pferd da dran nicht genug selbst helfen? Manchmal ließt man ..."2-3 mm an einer Seite zu viel, und schon kann mein Pferd nicht mehr laufen...."
Das passt ja dann nicht zusammen. :?
Könnte auch daran liegen, daß Martin es liebt, die Dinge sehr viel einfacher darzustellen, als sie in der Praxis sind. Und natürlich daran, daß er eine sehr eigene Meinung vertritt.

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Re: Verständigungsproblem

Beitrag von kelte » Di 24. Mär 2015, 15:30

Spräche aber für Martin, denn ein alter Spruch sagt: Nur wer wirklich gut ist, kann komplizierte Dinge einfach darstellen. ;)

Grüße

Martin
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Re: Verständigungsproblem

Beitrag von Martin » Di 24. Mär 2015, 15:57

Nupur hat geschrieben:
Jeanne Dark hat geschrieben:Genau das, was Martin schreibt, habe ich mir auch gedacht, als ich den Huf sah. Oder zumindest so ähnlich.
Nur, warum dann der ganze Tanz um Hufbalance und sowas? Kann sich der Huf und das Pferd da dran nicht genug selbst helfen? Manchmal ließt man ..."2-3 mm an einer Seite zu viel, und schon kann mein Pferd nicht mehr laufen...."
Das passt ja dann nicht zusammen. :?
Könnte auch daran liegen, daß Martin es liebt, die Dinge sehr viel einfacher darzustellen, als sie in der Praxis sind. Und natürlich daran, daß er eine sehr eigene Meinung vertritt.
Na das wäre ja noch schöner, wenn einer mit einem kompletten naturwissenschaftlichen Studium und 20 Jahren Erfahrung keine eigene Meinung hätte. Vielleicht ist es die falsche, aber eine eigene sollte es schon sein. ;)

Martin

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Re: Verständigungsproblem

Beitrag von Jeanne Dark » Do 26. Mär 2015, 13:02

Na, so falsch kann sie nicht sein, denn vieles klingt einfach logisch. ;)
Und wahrscheinlich haben wir die gleiche universelle Wissensquelle angezapft, denn es war schon wieder so, dass ich schon beim absenden meines Beitrages, genau das gedacht habe, was du dann geantwortet hast. :? :lol:
Könnt ich mir eigentlich das schreiben sparen, wenn das auch telepathisch klappt! :lol:

@Pferdefreund, danke für deine umfangreiche Ausführung!

Jetzt frage ich mich aber, wie kommt eine Hufbalance zustande, so, wie sie sein soll, wenn die eine Wand steiler ist, als die andere? Die Innenseite der steileren Trachte ist doch dann auch kürzer? Das kann doch nicht gehen? Also, ich kann nicht sagen, der Huf ist balanciert und die eine Wand ist dann steiler?
LG Katrin

Mit Logik kommt man von A nach B, mit Kreativität überallhin!
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Re: Verständigungsproblem

Beitrag von Martin » Do 26. Mär 2015, 15:35

Jeanne Dark hat geschrieben:
Jetzt frage ich mich aber, wie kommt eine Hufbalance zustande, so, wie sie sein soll, wenn die eine Wand steiler ist, als die andere? Die Innenseite der steileren Trachte ist doch dann auch kürzer? Das kann doch nicht gehen? Also, ich kann nicht sagen, der Huf ist balanciert und die eine Wand ist dann steiler?
Das ist genau die Frage: Wann ist ein Huf korrekt balanciert?
Je nach Bearbeitungstheorie gibt es da unterschiedliche Antworten. Bösartig könnte man im Anblick der vielen gegensätzlichen Theorien auch sagen, man weiß es nicht.

Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus, können Hufe bestens balanciert sein, auch wenn die eine Wand steiler und die andere flacher ist. Schau mal bei solchen Hufe auf die Trachtenlänge und die Trachtenhöhe. Trachten können gleich lang sein, aber wegen unterschiedlicher Winkel der Trachte unterschiedlich hoch. Das ist aber nur eine Erklärungmöglichkeit von vielen, warum ein balancierter Huf unterschiedlich steile Wände haben kann.

Martin

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Re: Verständigungsproblem

Beitrag von Kathy71 » Sa 28. Mär 2015, 12:06

Ich hatte grade eine interessante Diskussion zum Thema Fehlstellungen und Hufbearbeitung.

Es gibt Leute, die einem fehlgestellten Pferd die Hufe "passend zur Fehlstellung" bearbeiten (das Pferd hat halt schiefe Beine, da muss ich die Hufbearbeitung drauf abstimmen)...gerne Röntgenbilder angucken und wenn ihnen dann jemand ein RöBi Vorher-Nachher zeigt immer noch negieren, dass es neben der "natürlichen" Fehlstellung auch eine "vom Hufbearbeiter verursachte" Fehlstellung gibt. Egal woher die Fehlstellung kommt, der Huf wird nicht in Richtung "gerades Bein" korrigiert, weil dann Arthrosen und Sehnenprobleme drohen...

...die Meinung, dass man den Huf isoliert von den restlichen Gliedmassen sehen kann und dass eine einseitige Bearbeitung immer in ein Kippen im Fuß führt, hält sich ganz arg hartnäckig...und es wird nicht mal was anderes probiert.

Ah, und dann wird von eben jenen auch gleich noch behauptet, ein Pferd mit "krummen Beinen" sei auf gar keinen Fall (!!!) für den Distanz-Sport geeignet...neee, ist klar...

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