Bearbeitung nach alter Verletzung, diagonaler Gang

Bearbeitungstechniken
Martin
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Re: Bearbeitung nach alter Verletzung, diagonaler Gang

Beitrag von Martin » Do 17. Jul 2014, 23:08

Feuerhuf hat geschrieben:@Martin
So eine kleine Studie mit so bescheidenen Mitteln kann niemals den Beweis für die Überlegenheit einer Methode liefern.

Ich würde es mal anders Ausdrücken. Diese Studie im Rahmen der Dissertation von Frau Hagen hatte nie den Anspruch die Überlegenheit einer Methode herausstellen, sondern unterschiedliche Sichtweisen der Bearbeitungsmethoden mit diversen leidlich standardisierten Meßmethoden zu untersuchen und die Ergebnisse zu vergleichen. Natürlich können nicht alle Faktoren zu 100% berücksichtigt werden. Da ich jedoch an das Gesetz der große Zahl glaube, ist es möglich ein Resumee in Form einer Tendenz ziehen zu können und das lautet, das keine Bearbeitungsmethode in der Lage war die Stellung noch die Belastung wirklich zu ändern. Der auf der DHG Tagung vorgestellte Abschluß bericht ist nicht identisch mit der sich noch in Arbeit befindlichen Dissertation.
Mal sehen wie die Arbeit dann letztendlich interpretiert und diskutiert wird. Die Dissertations wird dann ja zeigen, ob sie von der wissenschaftlichen Veröffentlichung als Fachtext abweicht.
Ich habe an solche Untersuchungen im ersten Schritt ohnhin kaum mehr Erwartungen, als die Diskussion methodischer Ansätze. Man kann quer durch alle Wissenschaft rund um Hufe gehen und findet überall 2 gravierende Mängel: 1. unzureichende Methodik 2. zu geringe statistische Basis.

Aber ich finde Deinen Satz interessant: "...dass keine Bearbeitungsmethode in der Lage war die Stellung noch die Belastung wirklich zu ändern."

Das würde, wenn er denn stimmen würde, bedeuten, dass man an Hufen rumraspeln kann wie man will, ist eh wurscht. ;)

Aber mich würde ein solches Ergebnis auch gar nicht so sehr überraschen. Was nämlich gerne übersehen wird, sind die Auswirkungen der Bearbeitung auf die Muskulatur.

Die Muskulatur weiß halt eine Stellungsveränderung im Skelett zu kompensieren. Zum ersten Mal wurde mir das klar, als die gleichen Pferde mit hohen Trachten von mehreren Experten als korrekt im Fesselstand eingestuft wurden und nach Kürzung der Trachten um 2 cm ebenso. Diese Pferde "holten" sich ihren Fesselstand, völlig egal was man wo abschnitt. Wenn man genau hinschaute, dann stand das Bein nach der Korrektur aber nicht mehr an der gleichen Stelle unter dem Körper. Aus dem Grunde schauen z.B. @Kelte und ich auch bei Pferden immer auf die Position der Beine zum Körper. Stehen Pferd z.B. eher rückständig, dann sehen wir meistens Gründe zu handeln. Auch weit nach außen gestellte Beine oder unmotiviertes Rumgehampel geben Hinweise auf Stellungskompensationen durch die Muskeln.

Manchmal zeigen Pferde extreme Reaktionen auf Hufkorrekturen. Eine immer wieder beobachtete, ist die massive Schleimsekretion aus der Nase nach Bearbeitung der Vorderhufe. Das ist nur über eine Entspannung der Atemmuskulatur zu erklären.

Für mich liegt der Schlüssel der korrekten Hufbearbeitung deshalb in der Einstellung eines muskulären Gleichgewichts.

Martin

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Sani
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Re: Bearbeitung nach alter Verletzung, diagonaler Gang

Beitrag von Sani » Do 17. Jul 2014, 23:52

Meine Stute hat links hinten ein schiefes Bein, sie stand damit deutlich zu stark nach innen gedreht in der Spur von rechts vorne. So sah das nach einiger Zeit ohne Bearbeitung aus:

Foto vom 17.05.2013
Bild

In meiner Verzweiflung habe ich den Huf dann relativ gerade gestellt, das brachte nichts.

Foto vom 19.05.2013
Bild

Ich habe dann nach Anz bearbeitet, fand das nicht erfolgreich.

12.08.2013
Bild

Ich habe dann nur noch lateral Tragrandüberstand gekürzt und berundet, medial nichts gemacht.

07.04.2014

Bild

11.05.2014
Bild

21.05.2014

Bild

25.05.2014

Bild


10.07.2014
Bild

Meine kleine Studie, vielleicht kann ich damit zu der Diskussion was beitragen.

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wolf busch
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Re: Bearbeitung nach alter Verletzung, diagonaler Gang

Beitrag von wolf busch » Fr 18. Jul 2014, 08:33

"Was nämlich gerne übersehen wird, sind die Auswirkungen der Bearbeitung auf die Muskulatur."
"Für mich liegt der Schlüssel der korrekten Hufbearbeitung deshalb in der Einstellung eines muskulären Gleichgewichts."

eigentlich kann man hier durchaus zustimmen, wenn auch die muskulatur wiederum nur einen kleinen teil des "schlüssels" darstellt.
aber da hab ich jetzt trotzdem ein verständnisproblem, denn

- weshalb propagierst du dann sozusagen mit der gießkanne u.a. eine solch rein mechanistische, auf wenige faktoren verengte bearbeitungsweise wie die f-balance, die deinen hier immer wieder getexteten, hohen eigenen ansprüchen auch nicht im ansatz gerecht wird?
die methodik auf´s podestle einer "these als wahrheit" zu stellen macht´s weder wahrer, noch richtiger, noch besser, aber das podestbauen können sie ja alle gut, die biernats, die strassers, die anzens und co... und wackelig sind sie allesamt, diese podeste...

- wie geht das dann damit überein, daß nach den, auch von dir veranstalteten, wochenendkursen die leuts selbst losziehen sollen und eben diese hohen ansprüche an ihren eigenen pferden erfüllen? siehe auch diesen fall. (und wir erinnern uns: es geht nicht um´s fahrradreifen flicken, sondern um lebewesen...)

- oder gar, wie hier ein ums andere mal erneut zu beobachten, dass nach locker flockiger anleitung hier aus dem forum (ich stelle nicht den anspruch in frage, helfen zu wollen!) und ohne auch nur den ansatz einer einigermassen umfassenden klärung der sachlage vor ort, leute ohne background und notfalls mittels zählung ihrer raspelstriche! solche ansprüche erfüllen sollen? (und auch hier geht´s wieder nicht um fahrradreifen...)

diesen konflikt kriege ich noch nicht so recht auf die reihe.

Martin
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Re: Bearbeitung nach alter Verletzung, diagonaler Gang

Beitrag von Martin » Fr 18. Jul 2014, 19:32

wolf busch hat geschrieben:"Was nämlich gerne übersehen wird, sind die Auswirkungen der Bearbeitung auf die Muskulatur."
"Für mich liegt der Schlüssel der korrekten Hufbearbeitung deshalb in der Einstellung eines muskulären Gleichgewichts."

eigentlich kann man hier durchaus zustimmen, wenn auch die muskulatur wiederum nur einen kleinen teil des "schlüssels" darstellt.
aber da hab ich jetzt trotzdem ein verständnisproblem, denn

- weshalb propagierst du dann sozusagen mit der gießkanne u.a. eine solch rein mechanistische, auf wenige faktoren verengte bearbeitungsweise wie die f-balance, die deinen hier immer wieder getexteten, hohen eigenen ansprüchen auch nicht im ansatz gerecht wird?
die methodik auf´s podestle einer "these als wahrheit" zu stellen macht´s weder wahrer, noch richtiger, noch besser, aber das podestbauen können sie ja alle gut, die biernats, die strassers, die anzens und co... und wackelig sind sie allesamt, diese podeste...

- wie geht das dann damit überein, daß nach den, auch von dir veranstalteten, wochenendkursen die leuts selbst losziehen sollen und eben diese hohen ansprüche an ihren eigenen pferden erfüllen? siehe auch diesen fall. (und wir erinnern uns: es geht nicht um´s fahrradreifen flicken, sondern um lebewesen...)

- oder gar, wie hier ein ums andere mal erneut zu beobachten, dass nach locker flockiger anleitung hier aus dem forum (ich stelle nicht den anspruch in frage, helfen zu wollen!) und ohne auch nur den ansatz einer einigermassen umfassenden klärung der sachlage vor ort, leute ohne background und notfalls mittels zählung ihrer raspelstriche! solche ansprüche erfüllen sollen? (und auch hier geht´s wieder nicht um fahrradreifen...)

diesen konflikt kriege ich noch nicht so recht auf die reihe.

Das sind ein Haufen Fragen, die sich nicht so einfach beantworten lassen, ohne einen Roman zu schreiben. Eigentlich müsste ich beschreiben, wie alles 1994 begann, aber ich will das Forum nicht mit meinem Leben langweilen.

Ich versuche es so kurz es geht:

Was wahr ist oder nicht, kann und will ich nicht entscheiden, da ich keine wissenschafliche Grundlage habe das zu tun. Die wissenschaftliche Basis ist zu dürftig, um das entscheiden zu können. Ich sehe auch nicht viel Bemühen deutscher Hufschmiedeverbände oder Tierarztverbände oder Lehrschmieden oder Universitäten, da eine Basis zu schaffen.

Im Bereich der Hufbearbeitungstheorien folge ich eher einer pragmatischen Lösung. Ich schaue was Hufschmiede zu Wege bringen, die nach Fesselstandtheorie, Fußungstheorie oder Sohlentheorie oder einer Mischung aus allem arbeiten.
Es war für mich auch überraschend, dass die Fußungstheorien so erfolgreich sind, da sich das anatomisch nicht so einfach erklären lässt. Aber man kann wirklich nicht behaupten, dass die Schmiede, die nach Sohlentheorie beschlagen/stellen, soviel erfolgloser sind, als die Vertreter anderer Theorien. Bezogen auf die eigenen Pferde und einer Reihe weiterer in späteren Jahren, kann ich nachweisen, dass sie nach Umstellung auf eine Bearbeitung nach Sohlentheorie viel besser liefen, weniger krank waren und deshalb kaum noch Tierarztrechnungen erzeugten. Im Nachhinein weiß ich, dass unser erster Schmied unser Pferd nach alter deutscher Sohlentheorie beschlug. Auch da gab es keine Probleme mit dem Pferd. Die traten erst auf, als Schmiede mit dem Hintergrund Fesselstandstheorie das Pferd bearbeiteten. Im Moment gehe ich davon aus, dass die Fesselstandstheorie in der Praxis sich nicht bewährt hat. Vielleicht wurde sie falsch gelehrt, vielleicht war sie für viele Hufschmiede zu kompliziert, vielleicht waren nur Teilaspekte falsch, wie z.B. das Arbeiten mit sehr hohen Trachten, vielleicht ist sie aber auch schlichtweg falsch. Es mag sein, dass es Schmiede gibt, die aus einer Mischung von diversen Theorien und Erfahrungen ein Bearbeitungskonzept besitzen, dass allen anderen Konzepten überlegen ist. Aber das wird nicht an den Lehrschmieden gelehrt und das wäre dann ja nötig.
Also ist meine These: Würden alle deutschen Schmiede nach einer einfach nachzuvollziehenden Sohlentheorie arbeiten, würden nicht so viele Fehler gemacht und dann würde es vielen Pferden besser gehen. Solange ich soviele miserabel gestellte Pferde in deutschen Ställen sehe, habe ich keinen Anlass zu glauben, dass die momentane Lehre gut aufgestellt ist und die heißt halt nachwievor "Fesselstandstheorie".

Es geht mir nicht um Anz als einzig wahre Methode und die Erhebung auf ein Podest. Das interessante an Anz ist, dass seine Methode messbare Größen besitzt, wie sie vorher noch nicht foruliert wurden. An Anz glauben, kann nur derjenige, der an die Wirksamkeit der Sohlentheorien glaubt und dessen Überprüfung der messbaren Größen nach Anz zu dem Schluss kommt: funktioniert. Wer schon sagt, dass die Sohlentheorien unzureichend sind, kann auch nicht an Anz glauben und wird sein System gar nicht erst prüfen.

Die Geschichte mit den Hufkursen ist eine eher traurige. Sie begann schon 1994 mit den kaputten Hufen unseres/r Pferde/s, das/die damals noch von Hufschmieden bearbeitet wurden. Das änderte ich erst, als mir australische, amerikanische und französische Hufschmiede eindringlich empfahlen es lieber selber zu machen, als weiterhin solche Stümper dranzulassen. Originalizitat: "So schlecht kannst Du gar nicht arbeiten, wie das im Moment ist." Es hat dann aber noch ein paar Jahre gedauert, bis ich die komplette Verantwortung übernahm. Meine Erfolge machten andere Reiter aufmerksam und sie baten mich ihre Pferde zu bearbeiten. Ich habe mich da lange geweigert, weil ich nicht annahm, dass meine Bearbeitung einem generellen Anspruch genügte. Einem guten Freund konnte ich die Bitte aber nicht ausschlagen. Der damit verbundene Erfolg sprach sich rum und so häuften sich die Anfragen. Dann kam der zweite traurige Aspket ins Spiel. Ich konnte weiteren Pferden helfen, aber es war kein Hufschmied und kein Hufpfleger bereit (oder zeitlich in der Lage), diese Pferde weiter zu bearbeiten. Dabei ging es anfangs gar nicht um so große Dinge wie andere Theorien. Es scheiterte schon daran, dass Hufschmiede sich weigerten ein Pferd barhuf zu bearbeiten, alle 4 Wochen zu kommen, Duplos zu beschlagen, die Trachten mal etwas niedriger zu halten etc. Diese Weigerungen führten dann zum Selbstraspeln. Ich zeigte also den Besitzern, mit reichlich schlechtem Gewissen, was sie selbst erledigen können und entwickelte dafür ein System, mit dem Amateure eine Chance hatten klar zu kommen. Zu meinem Erstaunen funktionierte das besser als erwartet. Ich kann das ganz gut beurteilen, weil darunter relativ viele Distanzpferde waren, die entsprechenden Belastungen ausgesetzt waren und vorher schlecht/gar nicht liefen. Wäre das System total daneben gewesen, hätte es nicht funktioniert. Diese Selbstraspler gingen sehr verantwortungsbewusst mit dem Erlernten um, z.B. nahmen sie die Vorgaben nicht als Dogmen, sondern passten sie nach und nach an die Erfordernisse ihrer Pferde an.

Das Forum wurde in der Gruppe hinter dem Forum durchaus kontrovers diskutiert und wir sind uns auch im Klaren, dass durch das Forum Fehlentwicklungen entstehen können. Auf der anderen Seite lassen die Experten tausende Reiter mit ihren fehlentwickelten Hufen total allein. Man muss nur in den nächsten Stall schauen und es dreht einem den Magen um. So konnten wir wenigsten den Reitern helfen, die verzweifelt nach Informationen rund um Hufe suchten. Logischerweise muss der Leser sich schon bemühen mit dem Angebot verantwortungsvoll umzugehen. Das werden nicht alle machen, aber es sind auch nicht alle blöd. Diese Diskusion gab und gibt es auch schon in einem viel kritischeren Bereich, dem der Medizinforen. Erste Untersuchungen zeigen, dass sie eher hilfreich als schädlich sind, weil viele Patienten viel besser informiert zum Arzt kommen. Es gibt auch keine Beweise dafür, dass sich seit Einführung des Internets mehr Leute durch Selbstbehandlung umbringen, als vorher.

Der obige Fall zeigt durchaus auch, wie gut das Forum funktioniert. Da hat die Besitzerin (?) das Pferd in eine Richtung bearbeitet (Vermutlich Kürzung der optisch längeren Seite), eine Freundin war anderer Meinung und hat gegengeraspelt. Der Fall kam ins Forum und erhielt folgende Empfehlungen: 1. Überlegt Euch, ob das Pferd nicht einen irreversiblen Schaden hat, der keine Hufbearbeitung der üblichen Art zulässt. 2. Wenn Kürzen nach Sohlentheorie/Anz sinnvoll sein sollte, dann ist das nicht korrekt passiert, also schaut nochmals nach. 3. Habt Ihr nicht einen Fachmann in der Nähe, der sich das mal anschaut?
Wenn die Beiden jetzt nicht ganz blöd sind, dann werden sie sich das ganze nochmals detailliert anschauen und dann entscheiden, wie es weitergeht. Wäre der Fall ohne Forum besser gelaufen?

Zum Schluss:

Ich bin ein großer Fan einer guten, staatlich überwachten Ausbildung, also eigentlich auch für die Ausbildung guter Hufschmiede (Hufpfleger brauchen wir nicht, das ist Folge der Fehlentwickung im Hufschmiedebereich!)
Sollte sich irgendwann mal was Grundlegendes in der Ausbildung ändern und so flächendeckend gute Hufschmiede verfügbar sein, dann höre ich mit den Kursen auf, höre selbst auf Pferde zu bearbeiten und dieses Forum würde bei mir zu einer Adressliste guter Hufexperten verkümmern und dann bestelle ich einen guten Hufschmied. :D

Martin

wolf busch
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Re: Bearbeitung nach alter Verletzung, diagonaler Gang

Beitrag von wolf busch » Sa 19. Jul 2014, 08:29

hmm, eigentlich kam es immer so rüber, als wärst du älter als 20...aber ich diskutiere gerne auch mit ernsthaften, jungen menschen!

was die wissenschaftlichen grundlagen angeht:

die umfassende klärung eines solchen komplexes wie dem laufverhalten eines tieres oder gar dessen langfristiger gesundheit durch rückführung auf einen faktor (hier: hufbearbeitung. per se aber ebenfalls bereits wieder ein riesen komplex...) auf rein naturwissenschaftlicher basis im sinne der heute praktizierten, verengenden betrachtungsweise aufgrund von einzelnen experimenten, messungen etc. ist nicht möglich.
hat ebenso nicht zwangsläufig mit einzelnen fehlern in der methodik oder in einzelnen meßaufbauten oder gar zu geringer statistischer relevanz zu tun, sondern einfach damit, daß zuviele faktoren sich gegenseitig beeinflussen, als daß man einem einzigen "kleinen teilchen" allgemein ausreichend relevanz zuordnen könnte.
und auch da wird´s schon wieder verwirrend, denn auch dieser satz stimmt nur eingeschränkt, es kann derselbe faktor beim selben tier einmal relevanz aufweisen und einmal nicht, abhängig wiederum von den restlichen faktoren...
man könnte also eigentlich sagen, bereits dieser quasi umfassende anspruch ist ein riesen fehler.
m.e. aber auch nicht so schlimm, denn vieles, was sich sog. echte wissenschaftler nicht "er-messen" können, kann man sich mit etwas grips durchaus auch "er-denken" und, noch viel sinnvoller, gleichzeitig erfahren!
um also auch nur ansätze gesamtwissenschaftlich erfassen zu können, fehlt es mir hier an der wichtigsten komponente, der empirie.

auch in bezug auf die einzelnen theorien oder deine erfahrungen damit lässt sich das wieder auf dieselbe verengung zurückführen, denn keine all dieser theorien hat nur recht oder nur unrecht, vielmehr ist die gesamtheit guter! hufbearbeitung immer eine gemengelage aus all diesen theorien, nicht nur auf die gesamtheit aller tiere, sondern sogar auf das einzelne tier bezogen.
oder, wenn man es richtiger ausdrücken will, eigentlich haben sich die leute, die solche theorien "erfunden" haben, wiederum mit demselben verengten blick, das eine oder andere fitzelchen aus dem gesamtkomplex harausgefieselt, dabei gemerkt, daß da durchaus jeweils eine gewisse systematik dahintersteckt (klar, wenn man bedenkt, daß jede dieser theorien im gesamtkomplex mit drinsteckt?!) und sind fälschlicherweise davon ausgegangen, daß das dann also schon die hufbezogene "weltfomel" sein muss!
k.popper hat das mal recht bezeichnend, wenn auch nicht in bezug auf hufe, als "Nothing Else buttery" bezeichnet, also als "nichts anderes als aberei", also als falschen umkehrschluss. (nur weil der mensch auch ein tier ist, ist er nicht nur nur ein tier...;) ) >nur weil auch der fesselstand, die fussung, der sohlenrand etc. im huf stecken, steckt nicht nur die jeweils daraus gezogene theorie drin.

wo wir schon beim plaudern aus dem nähkästchen sind, in der praxis gelernt habe ich den beruf mehr oder weniger nach fesselstandstheorie, in der beschlagschule wurde dann aber strikt nach fussungstheorie gearbeitet. dabei konnte ich bereits erkennen, daß keine der beiden theorien, wenn konsequent angewendet, wirklich allgemein zufriedenstellende ergebnisse liefern konnte (mit einem eindeutigen malus für die fussung), jedoch war mein lehrmeister gottseidank kein echter theoretiker, sondern hat das eher pragmatisch gesehen, also nach dem motto "solange fesselstand funktioniert, alles gut. wenn nicht, dann muss man´s eben anders machen".
und genau dieses "anders" war in aller regel arbeiten nach der empirischen kenntnis auch des jeweiligen falles...
im laufe der jahre sind viele (heute eigentlich nicht mehr wirklich neue) solcher therorien gekommen und gegangen, einiges hatten alle gemeinsam.
- der (er-)finder dachte immer, er hätte nun endlich die eine, allumfassende lösung, also sozusagen das rührei des kolumbus erfunden, gut zu sehen auch am jeweiligen absolutheitsanspruch (das ist "immer" so)
- ein bisserl von der jeweiligen teorie steckte jeweils in jedem huf, in jedem tier drin
- sie haben aber immer nur dann richtig funktioniert, wenn das jeweilige tier zufällig dazu gepasst hat.
last not least, es gab immer die wie auch immer eher einfachen gemüter, die "übrigblieben", also hinfort nur noch nach dieser jeweiligen theorie gearbeitet haben.

die krux liegt also auch in diesem wissensgebiet vor allem darin, daß mensch (egal, ob nun in lehrschmieden, bei den alternativen oder auch einfach so, also bspw. hier im forum) versucht, seiner doch eher mangelhaft funktionierenden willkürlichen rechenmaschine entsprechend auch die simple lösung zu finden, mit der die klarkommt. (prüfstände, "studien" etcetera sind hier eigentlich das genaue abbild dessen)
was eigentlich garnicht nötig wäre, so er denn den ihm zur verfügung stehenden "rest" auch noch nutzen würde, wie bereits im letzten beitrag angedeutet.

was deine these von der einfachen theorie, an die sich besser alle halten sollten, zwangsläufig widerlegt, denn das bleiben immer zufallstreffer.
und, auch hier bilden die schmiede nicht unbedingt die ausnahme, der hund bei der ausbildung liegt sogar noch weniger in der jeweiligen theorie begraben (gerade bei den schmieden findest du, wie bereits beschrieben, vor allem räumlich differenziert, alle möglichen theorien als grundlage, kaum ein berufszweig arbeitet "theoretisch" so uneinheitlich), sondern vielmehr in der miserablen ausbildung an sich.
als beispiel: die fesselstandstheorie beinhaltet in keinster weise hohe trachten, das kommt nur dann dabei raus, wenn der ganze rest zuvor schon falsch / schlampig gemacht wurde.

was anz angeht: der ist nun eigentlich etwas für besonders simple gemüter, denn da darf man sich an direkte messergebnisse halten, also noch simpler (nicht im guten sinne) als bspw. die theorie vom senkrecht zum röhrbein liegenden tragerand, bei dem man diesen winkel zumindest noch indirekt "um-messen" musste. diese simplifizierung auf messbare größen hin funktioniert leider nicht in für die gesamtmenge der tiere tolerablem ausmaß. s.o.
und leider bilden dabei auch deine erfahrungen als maßstab wieder eine verengung, gut erkennbar neben so manchem fall hier im forum auch an den vielen gegenläufigen erfahrungen der vielen fachleute, die da draussen rumlaufen...

die lösung liegt also nicht und kann auch nicht liegen in der verengung auf möglichst immer simplere beurteilungs- und arbeitssysteme, sondern vielmehr in einer ausbildung, die den ganzen menschen hinzuzieht mit all seinen "sinnen".
problem dabei ist nur, daß das bei den meisten lernenden eben nicht mit ein paar unterrichtseinheiten getan ist, sondern viel zeit und engagement braucht und gleichzeitig die bereitschaft der lernenden in spe scheinbar immer geringer wird, so etwas auf sich zu nehmen.

aber hey, wenn man sich für die ausbildung, um kalte fischschnittchen perfekt zubereiten zu können, viele jahre zeit lassen darf (bspw. um die optimale führung des messers an der struktur eines thunfischfilets entlang erfühlen zu lernen), dann werden wir ja grade noch die ein, zwei jahre übrig haben, um an den gräten des im gegensatz zum toten fisch lebendigen, fühlenden pferdes rumzuschnipseln zumindest in den grundlagen zu lernen?!

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Re: Bearbeitung nach alter Verletzung, diagonaler Gang

Beitrag von ka.ori » So 20. Jul 2014, 11:00

So, meld mich auch mal wieder kurz zu Wort.... Inzwischen war ich nochmals bei dem Pferd zur Kontrolle u habe mit der Besitzerin gesprochen. Wie sie schon angedeutet hat, hat sie bisher fleißig versucht, den Huf optisch gerade zu stellen u nur die Innenseite gekürzt. Das Pferd läuft sich aber die Außenseite sehr rasch wieder runter, was dann zur Folge hat, dass die Besi wieder fleißig innen raspelte. Die Hufe waren jetzt 5,5 Wochen unter Duplobeschlag, deshalb hat auch die Außenwand ziemlich nach innen gedrückt. Der Duplo war an der Außenseite ziemlich in Fetzen weggelaufen.

Der Ballen sah, meines erachtens, ganz ganz leicht entspannter aus wie vorher. Zumindest war der Huf nicht noch mehr abgekippt wie vorher, was die größte Angst der Besitzerin war (deshalb hat sie auch sehr regelmäßig dagegen gearbeitet). Martin, ich habe tatsächlich nochmal ein wenig lat. bis zum Zehenbereich weggenommen.

Pferdefreund, deine Frage nach dem massiven Ballenhochstand beschäftigt mich eben auch..... deshalb auch hier der Thread (um Erfahrungen auszutaschen ;) ). Ich bin sehr gespannt, wie sich der Huf in den nächsten Wochen entwickelt bzw. ob sich überhaupt was tut. Ich kenne ein Pony, dass ähnlich das Hinterbeinchen nach innen schmeißt, hier ist der Huf ebenfalls leicht lat. nach innen kollabiert, aber nicht so ein starker Ballenhochstand (Bearbeitung unbekannt, ist ein Pony, wo mein Sohn ab und an mal draufsitzen darf).
Gott hat den Menschen erschaffen, weil er vom Affen enttäuscht war. Danach hat er auf weitere Experimente verzichtet. (Mark Twain)

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Re: Bearbeitung nach alter Verletzung, diagonaler Gang

Beitrag von Pferdefreund » Mo 21. Jul 2014, 01:01

Danke fuer die Info. Bitte lass uns wissen was ihr weiter findet. Mein Rat waere auch mal den anderen Hinterhuf gut unter die Lupe zu nehmen. Es koennte naemlich sein, dass diesem die medialen Seite zu stark gekuerzt wird, weshalb das Pferd diesen dann einfach nicht unter den Schwerpunkt stellen kann, und so muss der RH das dann ueberproportional machen.


Das ist leider eine Tendenz die alle Rechtshaendischen trimmer haben, die medialen Seiten der linken Hufe zu uebertrimmen, und die lateralen der rechten Huf.
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21257560

Abstract

Horses that had been trimmed and shod by apprentice farriers were sourced from the Royal School of Military Engineering, Melton Mowbray (37 horses) and from the Household Cavalry, Knightsbridge (54 horses). The lateral and medial hoof wall angles of both forelimbs were measured using a Ruidoso hoof gauge by the same operator. The difference between the lateral and medial hoof wall angles for each horse was calculated and the results were compared between right-handed and left-handed farriers using the Mann-Whitney U test (P<0.05). There was a significant difference in the mediolateral hoof balance obtained between right-handed and left-handed farriers for each forelimb (P<0.001). Right-handed farriers were shown to create an imbalance in 47 per cent of left forelimbs and 46 per cent of right forelimbs assessed, while left-handed farriers created an imbalance in 41 per cent of left forelimbs and 71 per cent of right forelimbs. The tendency was for right-handed farriers to over-trim the medial (inner) aspect of the left forelimb and the lateral (outer) aspect of the right forelimb; the reverse was demonstrated for left-handed farriers. Performing a risk ratio confirmed these findings.



Das ist jetzt auf die Vorderhufe bezogen, und nicht auf die Hinterhufe, aber ich denke es gilt auch fuer die Hinterhufe. Hier steht das der RH am ehesten dazu neigt von dem trimmer an der lateralen Seite uebertrimmt zu werden.

http://www.horsefarrier.com.au/naturalhoofshape.htm


Wenn sich das Pferd also in seiner "Kindheit" auf einen solchen schlechten rechtshaendigen Trimmer eingestellt hat, dann hat es diesen Defekt nun fuers ganze Leben. Das muss also gar nichts mit einer Verletzung zu tun haben.

Ich habe auf jeden Fall schon lange die Theorie, dass dies der Grund ist fuer die Assymetrie bei meiner Stute, wo sich ihre Gelenke drauf angepasst haben.

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