Hufrehebearbeitung im Vergleich der Huftheorien

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SilentDee
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Re: Hufrehebearbeitung im Vergleich der Huftheorien

Beitrag von SilentDee » So 3. Jun 2012, 17:49

Hmm,

ich hab ja mal Tiermedizin studiert und dadurch damals viel mit Hufrehe aus schulmedizinischer Sicht zu tun gehabt. Und das war mir damals schon sauer aufgestossen. Ich bin immer schon sehr kritisch gewesen und möchte es perfektionistisch ausheilen und nicht nur Symptome schnell loswerden. Und da mir das im Studium gar nicht gefallen hatte (wobei von Tierärzten immer eine schnelle Symptomlosigkeit erwartet wird, damit man das Tier schnellstmöglich wieder nutzen kann, daher scheinen die nur das lernen zu wollen... leider!) habe ich schon damals den Rehehuf mit Profs und Ärzten durchdiskutiert und immer kam heraus, dass man sich nach der akuten Phase mit Gips auf den Schmied verlässt... Eisen, ohne wenn und aber als Lösung, weil man der Meinung war, es eh nicht heilen zu können.
Hat mir nicht gefallen, daher habe ich in Patho und Anatomie massiv den Huf als individuelles Interessengebiet für mich geschaffen gehabt.

Die Anatomie ist sehr deutlich und schon sehr lange bis ins Mikroskopische erforscht anatomisch, Wachstumsrichtungen usw. eindeutig auch, Funktionsweisen irgendwie auch, nur leider wird das i.d.R. in der Klinik nicht angewandt, habe ich das Gefühl - als wenn Histo, Anatomie, Patho, Physio usw. aus dem Grundstudium nur für die Prüfungen gelernt werden.

Wenn man das alles mal gedanklich anzuwenden versucht, dann macht ein gewisser Bearbeitungsansatz Sinn, andere nicht. Zum Teil wird das ja eh angewendet: Zehenwand entlasten, am besten anfangs ganze Wand aus der Tragkraft heraus, usw. Warum dann plötzlich Eisen in die Wände genagelt werden und so doch die ganze Tragkraft schnell wieder auf die Wand und damit Kronlederhaut und Wandlederhaut kommen soll, ist und bleibt mir leider unverständlich. Der "Hufbeinträger" ist kaputt (mal mehr und mal weniger), und nur weil die akute Entzündung vielleicht raus ist (oder chemisch erst mal beruhigt wurde) kann es doch schnell wieder gereizt werden und von neuem beginnen...

Ich selbst besitze zum Glück zwar ein Montagspferd und ein eher gesundes Pferd, zum Glück aber bisher kein Rehepferd. Habe also meine Theorien einfach in die Praxis umgesetzt - und anscheinend ziemlich erfolgreich. und dann spricht sich das unter den Rehepferdbesitzern herum wie ein Lauffeuer.

Wobei ich es wirklich wichtig finde, den Besi in die täglichen Kontrollen zu schulen und alle Varianten der Maßnahmen durchzusprechen, so wie man auch nichts versprechen kann und darf, weil es einfach bei jeder Hufrehe zu anderen problemen kommen kann, weil sich ja sowohl die Ursachen, die Stoffwechsel, die Haltungsbedingungen, die Fütterungen und auch die Anforderungen an das Pferd immer und immer masssiv unterscheiden.

Und dann unterscheiden sich die Bearbeitungen im Rehefall echt massiv voneinander!

Die Frage ist also, wenn man bei einer bearbeitung mitfährt und gucken kann, macht man es dann genauso? :D

Was habt Ihr denn theoretisch gelernt zur Hufrehebehandlung?

(Bin total neugierig!) ;)

Lieben Gruß

Ponyschubser
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Re: Hufrehebearbeitung im Vergleich der Huftheorien

Beitrag von Ponyschubser » So 3. Jun 2012, 19:01

Ich mache mal ne kurze Zusammenfassung. Falls ich mich komisch ausdrücke oder irgendwas vergessen habe, nachfragen :D
Gelehrt wurde:
Erstmal die typischen Symptome: Entlanstungshaltung, Pulsation d. Mittelfußaterie, Trachtenfußung etc.
Dann die verschiedenen Rehearten: Belastungsrehe, Futterrehe, Nachgeburtsrehe..
Die verschiedenen Lageveränderungen des Hufbeins: Senkung/Rotation

Bei der akuten Form sollte nach der Ursache gesucht und sofort abgestellt werden. Hufe kühlen. Tierarzt rufen. Vorgehensweise besprechen.
Nach der akuten Form wird der Huf entsprechend der Wachstumsphase in kurzen Abständen bearbeitet. Die Zehenwand soll aus der Last genommen werden. Es dürfen dort keine Hebel entstehen damit die Hufwand wieder geschlossen runterwachsen kann. Die Trachten sollten erstmal höher gestellt bzw. geschont werden. Nach und nach aber wieder auf Normalmaß gebracht werden.
Ob die Barhufbehandlung, Behandlung mit Klebebeschläge oder genagelte Beschläge die bessere Vorgehensweise ist, wurde offen gelassen und keine Empfehlung ausgesprochen. Es gab auch Bildmaterial. Vorher und Nachherbilder der sogenannten bearbeiteten Knollenhufe (chron. Form) aber jetzt so im Nachhinein, wenn man live so einen Huf vor sich hat und diesen bearbeiten will, frage ich mich wo genau ich "abschneide" :think:

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Re: Hufrehebearbeitung im Vergleich der Huftheorien

Beitrag von Annette » Mo 4. Jun 2012, 08:22

saskia hat geschrieben: Man liest neuerdings immer öfter, dass Kühlen bei Rehe nicht so unbedingt nützlich ist, bzw nur in der Phase BEVOR die eigentliche Rehe entsteht. Da man die Rehe aber fast immer erst dann bemerkt wenn es Pferd deutliche Schmerzen zeigt, ist man dann mit dem Kühlen eigentlich zu spät.
Ich kann das bestätigen, dass mein Rehepferd unmittelbar nach dem Kühlen die ersten Schritte viel schlechter lief.
Außerdem gibt es laut der Yahoo Cushings Group auch kälteinduzierte Rehe. Gerade im Winter wird dann sogar eher dazu geraten, die Beine zu wärmen.
Ich denke, man muss das jeweilige Pferd genau beobachten und sehen, was ihm in Bezug auf Kälte/Wärme besser zusagt.
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Re: Hufrehebearbeitung im Vergleich der Huftheorien

Beitrag von Mascha » Mo 4. Jun 2012, 09:24

Ponyschubser hat geschrieben:Die Trachten sollten erstmal höher gestellt bzw. geschont werden.
Gibt es dafür irgendeine Begründung? Durch hohe Trachten wird die hintere Region des Hufes zusätzlich belastet, wenn das Pferd versucht, sein Gewicht dorthin zu verlagern. Meinem Verständnis nach belasten hohe Trachten die hintere Region des Hufes also eher als dass sie sie schonen. Zusätzlich wird das Hufbein steiler gestellt, was dazu führt, dass die Hufbeinspitze in die Sohle drückt. Das Hochstellen der Trachten kam mir immer schon spanisch vor und eine gute Begründung dafür, habe ich noch nicht gehört.
Viele Grüße, Mascha
Alles, was ich an Beurteilungen abgebe, basiert auf dem Material, das mir dafür zur Verfügung gestellt wurde. Natürlich müsste man für eine vollständige, seriöse Beurteilung der Hufe das Pferd live und in Bewegung sehen.

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Re: Hufrehebearbeitung im Vergleich der Huftheorien

Beitrag von Pat » Mo 4. Jun 2012, 09:41

Ich hab keine Erfahrung mit akuter Rehe, und was ich im konkreten Einzelfall machen würde, das hängt eben von diesem konkreten Einzelfall ab, wie der sich zeigt.

Gelernt hab ich, dass die Trachten (wenn nötig) auf die physiologische Höhe gekürzt werden und dann für ca. 3 Tage mittels eines Keils hochgestellt werden, um im akuten Stadium, das ja bei guter Behandlung in 3 Tagen soweit abgeklungen sein sollte, die TBS zu entlasten. Sobald das Geschehen in die Subakute Phase kommt wird der Huf nach und nach flacher gestellt. Das kann man mit unterschiedlichen Keilen, die man in das Polster oder in die RX einbaut gut hinkriegen.
Gelernt hab ich auch, dass dieses kurzfristige Hochstellen, eine mehr oder weniger starke Schmerzbefreiung für das Pferd sein kann.

So weit mein theoretischer Beitrag... :)

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Re: Hufrehebearbeitung im Vergleich der Huftheorien

Beitrag von radieschen » Mo 4. Jun 2012, 09:48

Naja, die "handelsübliche" Erklärung für Trachten-hoch ist die, dass sonst die böse tiefe Beugesehne hinten am Hufbein zieht und dadurch für eine Rotation desselben führt.
Warum die Strecksehne das nciht verhindern können soll und warum die TB nun im Rehefall plötzlich so extrem am Hufbein zerren soll, konnte mir aber auch noch niemand erklären. Wohl aber gaben sie zu, dass es oft problematisch würde, wenn man dann hinterher wieder weg vom Keil wollte, da der dann meist zu lange beibehlaten würde und die TB sich dann entsprechend verkürzt.
Manche Rehepferde graben sich ja tatsächlich die Zehe im Boden ein, aber dabei trägt der Huf das Gewicht immer noch recht gleichmäßig verteilt, ohne zusätzlichen Druck auf die Trachte und ohne das Hufbein ehr auf die Spitze zu stellen.. insofern sind die von SIlent erwähnten "kugeligen" Polster denk ich oft gar nciht verkehrt. Ich stell die Rehetierchen gern in nen gepolsterten RX und raspelt dem mehr oder minder rundum ne "Abrollkante" dran, auch, um Wendeschmerz zu minimieren. Nach hinten kann man den allerdings schlecht "kugelig" machen. da wär dann Cast mit Polster womöglich wirklich praktischer.

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Was die erfahrungen angeht: ich hatte das "Glück" (für mcih, nicht für die Pferde) einen Teil meines Praktikums zur Hauptrehezeit gemacht zu haben und bei meiner Praktikumsfrau dann sowohl chronische als auch akute Rehefüßchen zu gesicht zu bekommen und diese wirklich unter Anleitung bearbeiten zu dürfen. Zudem noch ne Kollegin mit Rehepferd, mit der ich sehr regelmäßigen Kontat habe und mich austausche. Die ersten eigenen Hufrehekunden kamen dann auch erst nach ca nem halben Jahr der Selbständigkeit. War mir ganz recht, da hatte ich dann schon etwas Routine mit der normalen Hufbearbeitung und konnte dann anfangen, mich mit den schwierigeren Fällen zu befassen.


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edit: mit Pat überschnitten.

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Re: Hufrehebearbeitung im Vergleich der Huftheorien

Beitrag von Pat » Mo 4. Jun 2012, 10:10

Ich denke mal, wenn man das so macht, wie ich oben es beschrieben habe, dann gibt es kein Problem mit dem wieder runterstellen

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Re: Hufrehebearbeitung im Vergleich der Huftheorien

Beitrag von radieschen » Mo 4. Jun 2012, 10:44

nein, in deinem Fall nicht. Aber wie oft wird einfach ein Keilbeschlag druntergekloppt und dann halt mal ein paar Wochen dran gelassen?! im besten fall ist noch ein Sohlenpolster mit dabei, oft aber nur ein umgedrehtes und damit zehenoffenes Eisen... oder ein NBS-Beschlag schön mit dem Breiten Zehenteil unter der Hufbeinspitze. Letzten Herbst an nem Rehe-Pony angetroffen, das irgendwie nciht mehr laufen wollte...

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Re: Hufrehebearbeitung im Vergleich der Huftheorien

Beitrag von saskia » Mo 4. Jun 2012, 10:46

radieschen hat geschrieben: ....Warum die Strecksehne das nciht verhindern können soll und warum die TB nun im Rehefall plötzlich so extrem am Hufbein zerren soll, konnte mir aber auch noch niemand erklären. Wohl aber gaben sie zu, dass es oft problematisch würde, wenn man dann hinterher wieder weg vom Keil wollte, da der dann meist zu lange beibehlaten würde und die TB sich dann entsprechend verkürzt.
....
Mal eine Frage an die Anatomie-Experten : kann sich eine Sehne eigentlich wegen sowas verkürzen? Oder ist es evtl eher so, dass sich das Pferd mit hochgestellter Trachte eine Schonhaltung angewöhnt durch Muskelanspannung (Schulter, Rumpf), diese Anspannung auf Dauer zu VERspannung führt (Bockaden) und das Pferd deshalb später Schwierigkeiten hat, wenn es wieder normal hingestellt werden soll? Dann wäre das Problem ja evtl durch Osteo-Behandlung o.ä. zu lösen?

Gibt es eigentlich belegte Fälle, wo das Hufbein nach vorherigem Trachtenhochstellen beim späteren Trachtenkürzen "nach-rotiert" ist, weil die TBS zu kurz geworden war und das Hufbein im hinteren Bereich oben behalten wollte (evtl nur deshalb, weil das Trachtenkürzen zu radikal angegangen worden wäre)?
Theorie ist, wenn man alles weiß und nichts klappt. Praxis ist, wenn alles klappt und keiner weiß warum. Oft sind Theorie und Praxis vereint: nichts klappt und und keiner weiß, warum.

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Re: Hufrehebearbeitung im Vergleich der Huftheorien

Beitrag von SilentDee » Mo 4. Jun 2012, 12:02

Ich finde ja diese Beugesehne-zieht-Hufbein-in-Rotation-Theorie völlig sinnlos.

Die Beugesehne ist ja nicht allein da, und vor allem zieht sie ja nicht. Sie ist einfach die Befestigung des entsprechenden Muskels (wie jede Sehne, egal, ob Ursprungs- oder Ansatzsehne) am Knochen. In diesem Fall eben an der Unterseite des Hufbeins, so wie es an der oberen, vorderen Kante den Strecksehnenfortsatz des Hufbeins gibt.

Jeder Muskel oder jede Muskelgruppe hat Antagonisten. Und gerade an den Extremitäten sind es nicht einzelne Sehnen, die allein ziehen, sondern sie sind teilweise durch Bänder, Querringe usw. miteinander vebunden, sonst würde öftes mal, wenn das Pferd seitlich z.. auf einen Stein tritt, die Sehne seitlich rausplingen...
Daher sind m.E. alle Untersuchungen, bei denen Kadaverhufe mit dem Röhrbein oder so abgetrennt werden, und dann Zug an die einzelnen Sehnen ausgeübt wird, serh physiologiefremd. Das ist nicht gerade eine natürliche Nachbildung der tatsächlichen Verhältnisse. Und ein Huf ist nummal kein Hornklotz.
Ein Pferd sollte schlafen können und ohne aktive Muskelanspannung dabei stehen bleiben können, genau dafür sind die sehnigen Aufbauten am Pferdebein. Und eben, um diese Zehenspitzenfußung nur auf dem "Mittelfinger" überhaupt zu gewährleisten.

Bei einer Hufrehe ändert sich ja nichts an der Muskelspannung oder dem dadurch messbaren Sehnenzug, sondern wir haben einen entzündlichen Vorgang in den kapillaren der Lederhäute! Und Kardinalssymptome einer Entzündung sind:
◦Schmerz = DOLOR
◦Rötung = RUBOR
◦Schwellung = TUMOR
◦Überwärmung = COLOR
◦Gestörte Funktion = FUNKTIO LAESSA

Das passiert also in der Lederhaut, noch bevor wir überhaupt eine Lahmheit sehen, bevor das Pferd also irgendwas an der Körperhaltung ändert und dadurch evtl. die Muskeln anders benutzt... und verspannt.

Schwellung geht i.d.R. mit einem Austritt von Flüssigkeit in den Zwischenzellraum einher, meist mit den Eiweißverbindungen, die typisch für eine Entzündung sind. Diese eiweißreiche Flüssigkeit quetscht sich also zwischen die Zellen der Lederhaut, also zwischen die oberste Lederhautschicht und die basale Epidermisschicht und dadurch trennt sich dann die Hornschicht-Lederhaut-Verbindung. Je nachdem, wie stark die Schwellung, desto größer ist die Trennung.

Man findet ja wirklich unterschiedliche Ausprägungen vopn Rotationen und dadurch auch nur leicht auseinander gezerrte Lamellenschichten und ganz weit getrennte Lamellenschichten, passend dazu der Grad der Rotation.
Wenn ich also die Entzündung und Schwellung frühzeitig bekämpft bekomme, trennt sich die Lamellenschicht vielleicht nicht komplett... sondern nur leicht.

Durch die Trennung trennt sich meistens m.M. nach die Hufwand von dem Hufbein. Manchmal eben bei "leichten" Rehen eher durch lange Zehe nicht rundum, sondern durch die dadurch mechanisch verstärkte Reizung nur im vorderen bereich, seitlich kann es noch kompensiert werden. Das wird oft als Aufrotation bezeichnet (mindestens bei einer Hufschule ;) ), die Beinachse bleibt erhalten und das Hufbein sinkt nicht weit ab.
Die Entzündung an sich tut weh, aber die dadurch hervorgerufene Trennung mit Wandrotation (Abrotation) führt ja dazu, dass das Hufbein mit seiner scharfkantigen vorderen kante steiler auf die Sohlenlederhaut drückkt, denn da steht ja das Pferd mit seinem Gewicht drauf... und DAS tut extrem weh, das Pferd nimmt dann die bekannte Schonhaltung ein, entlastet die Zehenregion, zeigt Zehenspitzenschmerz, Wendeschmerz, Trachtenfußung ohne Abrollen übder die Zehe usw. Je schlimmer, desto weiter stellt das Pferd die Vorderbeine nach vorne raus, um das Hauptgewicht auf die Trachtenregion und den gepolsterten weichen Anteil des Hufes zu bringen.
Und die Hinterbeine werden dementsprechend auch nach vorn unter die Körpermitte gestellt, um das Hauptgewicht zu tragen, denn die Hinterhufe sind meist die Gesünderen, haben dadurch eine physiologischere Hufform und viel weniger Zehenhebel als die Vorderhufe i.d.R., was dazu führt, dass meist die Vorderhufe schlimmer betroffen sind und manchmal fast ausschließlich betroffen sind. Beugesehnen gibt es an den Hinterhufen ja auch, oder? ;) Und gerade bei dieser schonhaltung müsste ja an den Hinterhufen das Hufbein noch mehr weggezogen werden, warum passiert das da nicht?

Unbehandelt oder falsch/zu spät behandelt kann m.M. nach die Lamellenschicht sich ganz trennen, und dann zieht durch die Kombi der Schonhaltung (dazu Fehlbelastung der Muskeln mit Verspannungen usw.) und den Versuch des Pferdes, sich zu entlasten, leider aber den in unserer Pferdehaltung nicht dafür geeigneten Boden, die Beugesehne dann doch irgendwann etwas mehr, als die Strecksehne allein gegenhalten kann, denn mittlerweile ist die Sohlenlederhaut, die bei manchen Reheformen ja auch schon die gleichen Probleme hatte wie die Kron- und Wandlederhaut, nur bisher die zusätzliche Reizung der hebelnden Zehenwand nicht hatte, nun doch die zusätzliche Reizung durch den scharfkantigen Hufbeinspitzendruck und dadurch auch dort eine Durchblutungsstörung in der Sohlenlederhaut und der Hufbeinspitze... und dann atrophiert da mit den Entzündungssymptomen die Sohlenhornplatte an dieser stelle, und es wird immer schmerzhafter, das Hufbein rotiert aus der Beinachse (Abrotation/ echte Hufbeinrotation) und kann unten durch die Sohle brechen. Auch kann die Kronlederhaut massiv mitentzünden, und es droht sogar das Ausschuhen...

In der freien Natur gibt es auch Hufrehe, die Pferde haben dann die Wahl, ob sie sich in weichen, evtl. nachgebenden, evtl. nass-kalten Boden stellen, damit sie die Zehe entlasten können, und dann graben sie die Zehe schon etwas ein, denn das ist ja ähnlich entlastend, wie die nach vorne rausstehenden Beine, vor allem wenn sich Boden in die Strahlfurchen usw. drückt und die Muskeln dann eben nicht so verspannt werden müssen, zumal es nicht schon von weitem krank erscheint, was wiederum nicht gerade Fressfeinde anlocken würde. Von weitem schwach erscheinende Tiere werden ja sogar von Jägern angegriffen, die sich bei einem gesunden Tier evtl. nicht trauen würden, also erhöhen sich die Überlebenschancen wieder noch mehr.

Bei uns stehen die Pferde oft auf einer mit Stroh eingestreuen Box auf Betonboden. Nassen Sand in einen Bereich eintreuen erscheint manchen Pferdebesitzern irgendwie unmöglich, obwohl es ja Baustoffhändler gibt, die den sogar liefern würden. Und entsorgen kann man ihn ja hinterher auch wieder... Zumal sich manch Stallbetreiber bestimmt auch über eine Sand-Spende für den Paddock freut. ;)
Ich würde also weiche trockene (dann evtl auch wärmende Einstreu (die nicht gefressen wird) in die eine Seite der Box machen, da kann das Pferd dann auch gemütlich liegen, und die andere Seite nass-kalt-weich-tief-sandig einstreuen, dann kann das Pferd stehen und selbst wählen, was es macht.

Wenn das nicht geht, entlaste ich und versuche die Reizungen zu entfernen, das Hufbein in physiologische Form zu bringen, die Sohlen-Zehenregion zu entlasten, damit die Durchblutung auch dort möglichst ungestört weiterfunktionieren kann- ohne abgedrückt und weiter gereizt zu werden, was wieder zu mehr Schwellung führt...

Bleibt das Hufbein zu spitz und drückt auf den Boden, bilden sich, wenn es nicht durchbricht, eine Skispitze an der Hufbeinspitze (ist immer ein Zeichen für nicht die erste Rehe) oder sogar eine Hufbeinspitzenatrophie, wie sie viele Esel haben.

Grundsätzlich können sich Sehnen nicht verkürzen, die haben auf zellulärer Ebene gar nicht genug flexibles Material, Verkürzen tun sich Muskeln. Sehnen können reissen und dann narbig verheilen, aber das haben wir meist nicht bei Hufrehe. :D (Man muss ja auch bei jeder Sache etwas positives suchen und finden...)

LG

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