Entlastungsbohrungen bei Rehe

Alles was den Huf gesund erhält bzw. Hufkrankheiten
Martin
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Entlastungsbohrungen bei Rehe

Beitrag von Martin » Mi 29. Okt 2014, 19:57

Ich habe neulich mit einem Hufschmied über die Möglichkeit gesprochen, bei Rehe eine Druckentlastung durchzuführen. Dazu wird die Hufkapsel aufgeschnitten oder angebohrt. Eigentlich erscheint das logisch, denn wenn ich das richtig verstehe, scheint ja der Erguß im Huf ein wesentlicher Grund zu sein, warum so viel Gewebe zerstört wird und weniger die Entzündung ansich. In der Hornkapsel kann eine Schwellung sich nun mal nicht ausdehnen und so zerquetscht sie das Gewebe. Man korrigiere mich, falls das nicht stimmt und die Literatur was ganz anderes besagt. In der Humammedizin kennt man das Kompartmentsyndrom, dass den Muskel zerstört oder eine Schwellung im Kopf, die das Gehirn abquetscht. In beiden Fällen wird durch chirurgische Maßnahmen entlastet.

Der Hufschmied wusste zu berichten, dass Pferde nach einer solchen Entlastungsbohrung, oftmals sofort schmerzfrei stehen und man dann oft genug auf Schmerzmittel verzichten könne. Die Heilung wäre, soweit keine neuen Schübe kämen, auch wesentlicht schneller.
Der Schmied konnte aber mangels medizinischer Kenntnisse nicht sagen, wann genau man das machen sollte und wann nicht und ob man in den bildgebenden Verfahren eine Schwellung sehen könnte etc.

Wer hat hier schon mal Erfahrung gesammelt oder kann mir Literaturstellen hierzu nennen?

Martin

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Re: Entlastungsbohrungen bei Rehe

Beitrag von Wurzl » Mi 29. Okt 2014, 21:01

Ich kenn nur, dass an der Zehenwand ca 2 cm unterhalb Kronsaum eine Kerbe gefräst / geraspelt wird. Aber das kann auch schwer nach hinten los gehen.

Es gibt dann noch einen brutalen Hufschmied irgendwo in Südamerika, der bis auf's Blut runterraspelt an der Sohle - sh. Youtube. Aber das ist nicht schön ...

Bohrungen und so was kenn ich nicht.
Könnte mir aber vorstellen, dass es evtl. wie ein Aderlass wirken könnte und zusätzlich direkt den Huf innerlich entlastet.

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Re: Entlastungsbohrungen bei Rehe

Beitrag von kelte » Mi 29. Okt 2014, 21:21

Grüß Euch!

Ich kenne einen uralten Norikerzüchter, der mir einmal berichtete, daß er bei Rehe mittels Nagel Löcher in die Sohle schlug, das Blut abrinnen lies und die Löcher dann mit Teer verschloß. Er schwor, daß die Pferde danach wieder gehen konnten und die Symptome abklangen.

Grüße

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Re: Entlastungsbohrungen bei Rehe

Beitrag von Mascha » Mi 29. Okt 2014, 22:26

Und ich hatte mich schon gefragt, ob das so richtig ist, das bei einem Rehe-Pferd, das vor kurzem neu an den Stall gekommen ist, die Zehenwand bis kurz unter den Kronrand weggefräst ist. War mir nicht sicher, wozu das gut sein soll.
Viele Grüße, Mascha
Alles, was ich an Beurteilungen abgebe, basiert auf dem Material, das mir dafür zur Verfügung gestellt wurde. Natürlich müsste man für eine vollständige, seriöse Beurteilung der Hufe das Pferd live und in Bewegung sehen.

Martin
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Re: Entlastungsbohrungen bei Rehe

Beitrag von Martin » Mi 29. Okt 2014, 22:41

kelte hat geschrieben:Grüß Euch!

Ich kenne einen uralten Norikerzüchter, der mir einmal berichtete, daß er bei Rehe mittels Nagel Löcher in die Sohle schlug, das Blut abrinnen lies und die Löcher dann mit Teer verschloß. Er schwor, daß die Pferde danach wieder gehen konnten und die Symptome abklangen.

Grüße
Es ist genau das was ich nicht verstehe. Wenn die These richtig ist, dass primär die Schwellung das Gewebe zerstört, vielleicht dieser Effekt der Hauptgrund einer Rotation oder Senkung ist und noch wahrscheinlicher der Hauptgrund für die extremen Schmerzen, warum führt man dann diese chirurgische Maßnahme nicht viel häufiger durch?
Früher hätte man sicherlich Problem gehabt die hygienischen Bedingungen zu gewährleisten. Aber heute kann man sicherlich so arbeiten, dass eine Infektion mit hoher Wahrscheinlichkeit vermieden werden kann.

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Nupur
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Re: Entlastungsbohrungen bei Rehe

Beitrag von Nupur » Mi 29. Okt 2014, 22:45

Es gibt die sog. Lungwitz-Rinne, die Wurzl beschrieben hat. Und die Zehenwandresektion, alternativ das extreme Ausdünnen der Zehenwand.
Bohrungen kenne ich nicht.
Alles sehr invasive Verfahren, die entweder als veraltet eingestuft werden, oder z.B. von manchen Amis, die ja bekanntlich keine Grenzen in ihren Methoden kenne, angewendet werden. Die Wirksamkeit mag ich mangels Erfahrung nicht selber beurteilen, sie soll aber gegeben sein. Die Frage ist, ob wir nicht bessere, modernere Methoden zur Verfügung haben. Zumindest sind diese Dinge nicht Bestandteil der aktuellen Aus- und Weiterbildung.

Martin
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Re: Entlastungsbohrungen bei Rehe

Beitrag von Martin » Do 30. Okt 2014, 00:07

Nupur hat geschrieben:Es gibt die sog. Lungwitz-Rinne, die Wurzl beschrieben hat. Und die Zehenwandresektion, alternativ das extreme Ausdünnen der Zehenwand.
Bohrungen kenne ich nicht.
Alles sehr invasive Verfahren, die entweder als veraltet eingestuft werden, oder z.B. von manchen Amis, die ja bekanntlich keine Grenzen in ihren Methoden kenne, angewendet werden. Die Wirksamkeit mag ich mangels Erfahrung nicht selber beurteilen, sie soll aber gegeben sein. Die Frage ist, ob wir nicht bessere, modernere Methoden zur Verfügung haben. Zumindest sind diese Dinge nicht Bestandteil der aktuellen Aus- und Weiterbildung.
Ich habe mich auch gefragt, ob es modernere Methoden gibt, aber außer abschwellenden Medikamenten ist mir nichts eingefallen und deren schnelle Wirksamkeit am Ende einer Extremität würde ich mal in Zweifel ziehen. Und wenn die physikalische Druckentlastung veraltet ist, warum macht man sie dann noch im Bereich des Kopfödems und des Kompartmentsyndroms des Menschen? Da verlässt man sich auch nicht nur auf die Pharmakologie. Wobei ich zugeben muss, dass man das Ödem im Kopf nur auf Basis einer entsprechenden Diagnostik so invasiv behandelt. Man klärt also zuerst das Ausmass der Schwellung. Ob das beim Pferd möglich ist, weiß ich nicht.

Ich werde das Gefühl nicht los, dass das mal wieder eines dieser fehlenden Logiken in der Medizin ist. Selbstverständlich ist es immer ein Problem einen Huf steril zu öffnen und dann auch noch steril zu halten, aber möglich erscheint mir das dann doch.

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Re: Entlastungsbohrungen bei Rehe

Beitrag von Nupur » Do 30. Okt 2014, 00:41

1. Ich denke mal, man darf auch eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufmachen. Selbst wenn ein "chirurgischer Eingriff" seine Wirkung hat, hinterher hat man einen halb zerstörten Huf, mit all seinen Konsequenzen.


2. Das nächste ist die ethische Diskussion. Ich habe gelernt, einem Rehepferd sollte kein Schmerzmittel gegeben werden, damit es sich auf jeden Fall schont oder sogar hinlegt. Finde mal Tierärzte, die das heute so rigoros durchziehen - oder Pferdebesitzer, die das ertragen... Um einen Huf also über Wand oder Sohle ausbluten zu lassen, braucht man eine gehörige Portion Selbstbewusstsein. (Strasser vermittelte dies ;-))


3. Dann stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt der akuten Rehe eine solche Maßnahme überhaupt sinnvoll ist - und wie dieser ermittelt werden kann?
In der Praxis schaut es doch so aus:
- Wenige Fälle werden rechtzeitig erkannt, erhalten die üblichen Sofortmaßnahmen, haben gute Prognosen. Der Eingriff ist überflüssig.
- Wesentlich mehr Fälle werden frühzeitig erkannt, aber falsch behandelt. Stimmen bereits die Grundlagen nicht, macht der Eingriff erst recht keinen Sinn. Es fehlt dafür auch die Kompetenz.
- Die meisten Fälle werden zu spät erkannt oder vorgestellt. Hier kann der Eingriff auch nichts mehr verhindern oder lindern.


4. Für alle chronischen, stoffwechselbedingten, schleichenden Reheprozesse, welche ja eine große Anzahl darstellen, kommt der Eingriff sowieso nicht in Frage.


... bleiben nicht mehr viele Argumente dafür, finde ich.

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Re: Entlastungsbohrungen bei Rehe

Beitrag von Pat » Do 30. Okt 2014, 07:18

Prof. Pollitt setzt komplett auf die Kältetherapie im akuten Stadium. Er stellt die Pferde für 72 Stunden in Eiswasser. Dafür hat er Wannen gebaut und sogar eine Art Stiefel mit Wasserzufluss konstruiert. Oder man stellt das Pferd einfach drei Tage in einen Fluß. ;) (Seil über den Fluß gespannt, Pferd in den Fluß, am Seil angebunden, Heunetz dran - fertig.)
Das kalte Wasser bewirkt eine Vasokonstriktion, die auch die Enzymaktivität reduziert. Ca 70% der Pferde sind danach soweit geheilt, dass es keine Schäden am Hufbeinträger gibt.

Auffräsen tut er nicht. Auch die Trachten stellt er nicht hoch. Nach letzterem hab ich ihn auf der Luwex explizit gefragt und er antwortete wörtlich: Ich wüsste nicht wozu das gut sein soll.

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Re: Entlastungsbohrungen bei Rehe

Beitrag von Martin » Do 30. Okt 2014, 09:23

Nupur hat geschrieben:1. Ich denke mal, man darf auch eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufmachen. Selbst wenn ein "chirurgischer Eingriff" seine Wirkung hat, hinterher hat man einen halb zerstörten Huf, mit all seinen Konsequenzen.


2. Das nächste ist die ethische Diskussion. Ich habe gelernt, einem Rehepferd sollte kein Schmerzmittel gegeben werden, damit es sich auf jeden Fall schont oder sogar hinlegt. Finde mal Tierärzte, die das heute so rigoros durchziehen - oder Pferdebesitzer, die das ertragen... Um einen Huf also über Wand oder Sohle ausbluten zu lassen, braucht man eine gehörige Portion Selbstbewusstsein. (Strasser vermittelte dies ;-))


3. Dann stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt der akuten Rehe eine solche Maßnahme überhaupt sinnvoll ist - und wie dieser ermittelt werden kann?
In der Praxis schaut es doch so aus:
- Wenige Fälle werden rechtzeitig erkannt, erhalten die üblichen Sofortmaßnahmen, haben gute Prognosen. Der Eingriff ist überflüssig.
- Wesentlich mehr Fälle werden frühzeitig erkannt, aber falsch behandelt. Stimmen bereits die Grundlagen nicht, macht der Eingriff erst recht keinen Sinn. Es fehlt dafür auch die Kompetenz.
- Die meisten Fälle werden zu spät erkannt oder vorgestellt. Hier kann der Eingriff auch nichts mehr verhindern oder lindern.


4. Für alle chronischen, stoffwechselbedingten, schleichenden Reheprozesse, welche ja eine große Anzahl darstellen, kommt der Eingriff sowieso nicht in Frage.


... bleiben nicht mehr viele Argumente dafür, finde ich.
Eine interessannte Argumentation, wenngleich sehr deprimierend.

Pollits Therapie geht letztendlich genau in die gleiche Richtung, Verhinderung der Schwellung. Mal angenommen, die Schwellung ist wirklich ein wesentliches Problem, würde die Mehrzahl der Rehepferde in Deutschland nicht die Therapie bekommen, die sie brauchen. Es wäre also fast alles komplett unlogisch, was wir da so machen.

Martin
Zuletzt geändert von Martin am Do 30. Okt 2014, 12:29, insgesamt 1-mal geändert.

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