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Die Crena und die Evolution

Verfasst: Sa 9. Nov 2013, 09:08
von Evolution
Vorbemerkung - nein, eigentlich ein Nachtrag:
geneigte Leserinnen und Leser :D
die folgenden Texte meinerseits sind unter dem Einfluß ziemlich erhöhter Körpertemperatur entstanden. Bitte glaubt nicht einfach, was da steht, sondern lest bis zum Ende, ja?

Gerade bin ich wieder über eine interessante Fragestellung gestolpert.
Ich habe jetzt zum zweiten Mal gehört, eine Crena sei evtl. ein evolutionäres Relikt. Beim ersten Mal weiß ich nicht mehr, wer's gesagt hat und hier hat Pferdefreund jetzt geschrieben
"Meiner Meinung nach ist es ein evolutionaeres Relikt, und noch heute in der Pferde Population vorhanden, besonders haeufig in schweren Pferderassen. Mein Wallach, QH vom alten Typ, hat eines, meine Stute, mit viel Araber Blut nicht."

Die Frage dahinter ist ja "Gibt eine Crena uns irgendeinen Hinweis darauf, daß am Huf etwas "falsch" ist oder zumindest in der Vergangenheit mal war? Und wenn ja, was?"
Auch die Aussage "es sind eher schwere Pferde, die eine Crena haben" habe ich schon öfter gehört. Mir selber fehlt die eigene Statistik dazu.
Allerdings kann ich mit dem "Relikt" nicht wirklich etwas anfangen, denn: Relikt von was? Wäre das Pferd ein Paarhufer, bei dem die Verschmelzung von Knochen weiter fortgeschritten wäre als bei einer Kuh, also wirklich bis zur Zehe, dann könnte ich mir das mit dem Relikt vorstellen, da in diesem Fall an der Hufbeinspitze eine Knochennaht wäre. Ist aber nicht. Deshalb bleiben für mich zwei Möglichkeiten übrig:
- pathologisch
- evolution in progress

"Pathologisch" muß ich wohl nicht weiter ausführen: Zusammenhangstrennung im Zehenbereich (evtl. sogar ohne daß die komplette Hufwand einen Zehenspalt ausbildet, also vielleicht zu Beginn nur "Mikroschäden" in den tieferen, hornproduzierenden Schichten?), und Auffüllen des Defekts mit Kitthorn. Hier ist der Hufbeindefekt eine schlichte Druckatrophie in Folge eines Defektes der Hufwand/Lamellenschicht durch Hebelkräfte, die eine oder beide Hufhälften nach außen ziehen.
"evolution in progress" wäre zwar auch irgendwie "pathologisch", aber gedanklich abzugrenzen vom eben Genannten. Unter der Annahme, daß mehr schwere als leichte Pferde betroffen sind, könnte ich mir vorstellen, daß das Design des Zehenskeletts, insbesondere die empfindliche, weil recht "zarte" Hufbeinspitze, mit dem Gewicht des Tieres überfordert ist und deshalb atrophiert. Hier ist in Betracht zu ziehen, daß Wildpferde i. d. R. nicht größer wurden als 1,30-1,40 und nur ungefähr die Hälfte von einem normalen Warmblut wogen. Züchte ich ein Tier größer und schwerer, müssen sich _eigentlich_ die tragenden Strukturen verändern, um den sich verändernden Belastungsverhältnissen anzpassen. Haben sie beim Pferd aber nicht. Hier wäre der Hufbeindefekt also der Auslöser - er wird durch Kitthorn ausgefüllt.

In der Konsequenz wäre also im Fall 1 die Entstehung und Verschlimmerung einer Hornsäule mit folgender Ausbildung einer Crena durch korrekte Bearbeitung vermeidbar (= keinen Hebel auf die dorsale Zehenwand entstehen lassen, wie er z. B. durch "Ohrenbildung" (zu lange laterale und mediale Zehenwand bei kurzgelaufener Zehe) entstehen könnte = der Huf muß so bearbeitet werden, daß die Zehenspitze _mehr_ Last aufnehmen muß und lateraler & medialer Anteil weniger nach außen ziehen), im Fall 2 wäre die Entstehung nicht vermeidbar, eine Schadensbegrenzung aber vielleicht durch eine möglichst weitgehende _Ent_lastung der Zehen_spitze_ möglich.

Interessant wäre hier auch noch eine Betrachtung der Atrophien der Hufbeinspitze bei großen Eselrassen - irgendwer (vermutlich war's Silent Dee) schrieb, daß das bei denen schon fast Standard wäre. Gleicher Grund (zu groß/schwer gezüchtet) und nur etwas andere Ausbildung des "Krankheitsbildes" aufgrund der unterschiedlichen Form des Hufes?

Das sind jetzt nur zwei Thesen aufgrund theoretischer Überlegungen zur Biomechanik/Physik - und damit wären wir bei der Frage angelangt: was machen diejenigen, die schon viele Pferde mit einer Crena in den Händen gehabt haben mit dem Huf? Wie bearbeitet Ihr das? Was haltet Ihr für die wahrscheinlichere Ursache? (Hornsäulen an anderen Stellen, die durch eindeutig pathologische Prozesse wie Verletzungen, Keratome o. ä. entstanden sind, mal außen vor gelassen)

Re: Die Crena und die Evolution

Verfasst: Sa 9. Nov 2013, 09:18
von TinaH
Ich glaube für die Frage braucht es noch eine kleine Begriffdefinition... denn ob und wie stark die Crena ausgebildet ist, daß sieht man doch erst nach einer Oxspring-Aufnahme, oder? Oder meinst Du das, ursächlich vermutlich von der Crena ausgelöste "Loch" mittig in der weißen Linie der Zehe?

Hier gibt es ein paar schöne vergleichende Hufbeinbilder:
http://www.barhuf-thueringen.de/download/Crena-Hufe.pdf

Meine Pferde verfügen teilweise auch über dieses angedeutete "Loch". Ich werde mal drauf achten, bei wem es an welchem Fuß wie deutlich zu sehen ist...

Re: Die Crena und die Evolution

Verfasst: Sa 9. Nov 2013, 09:26
von Evolution
Definition: Crena = Atrophie der Hufbeinspitze, äußerlich sichtbar an der dort befindlichen "Hornsäule" bzw. dem von Dir so genannten "Loch" (= "Hornsäule" nicht im Sinne einer durch andere Einwirkungen an anderen Stellen des Hufes entstandene Hornsäule, die natürlich zufällig auch genau an der Zehenmitte sitzen könnte).
Und ja, die Crena sieht man erst im Röntgenbild oder beim Sezieren des Hufes.
Ich möchte das Thema also tatsächlich ganz eng auf diesen Punkt begrenzen - irgendwelche anderen Hornsäulen irgendwo am Huf sind dafür uninteressant.

Re: Die Crena und die Evolution

Verfasst: Sa 9. Nov 2013, 11:20
von Puschel
Wer hat diese Definition aufgestellt? Was ist, wenn die Crena bei einem Fohlen auftritt, wie lautet die Definition dann?

Re: Die Crena und die Evolution

Verfasst: Sa 9. Nov 2013, 11:28
von Evolution
Hmmm... die heißt einfach so. Crena marginis solearis. Ist an vielen Hufen ganz leicht sichtbar, daß da an der Zehenspitze der Kreisbogen etwas "unterbrochen" bzw. abgeflacht ist, aber manche Pferde haben darüber hinaus ja quasi ein "Loch", eine richtig tiefe Delle an dieser Stelle. Der Unterschied ist gut zu sehen auf den Fotos in dem von Tina eingestellten pdf. Während eine leichte Abflachung des Kreisbogens m. E. physikalisch sogar Sinn machen würde, stellt eine tiefe Delle einen Schwachpunkt dar. Um genau den geht es mir hier. Es gibt m. W. keine unterschiedlichen Begriffe für die leichte Abflachung des Kreisbogens und die tiefe Delle - beides würde als Crena bezeichnet, wenn man es benennen wollte.

Re: Die Crena und die Evolution

Verfasst: Sa 9. Nov 2013, 12:07
von Puschel
Ich meine deine folgende Definition: Crena = Atrophie der Hufbeinspitze,
Atrophie ist eine Unter- oder fehlende Ernährung. Das würde bedeuten, der Kreisbogen war zuvor gefüllt und man könnte es wohl als pathologisch bezeichnen. Anders aber, wenn das Pferd damit zur Welt kommt, dann ist es keine Atrophie.

Re: Die Crena und die Evolution

Verfasst: Sa 9. Nov 2013, 12:27
von Evolution
Anders aber, wenn das Pferd damit zur Welt kommt, dann ist es keine Atrophie.
Genau. Um das, was ich meine zu verdeutlichen:
ich kenne nicht viele Oxspring-Röntgenaufnahmen von Fohlen. Aber was ich gesehen habe, sah i. d. R. so aus wie das hier: http://www.vetwerxequine.com/images/dig ... /xray2.bmp
Eine relativ gleichmäßige Rundung des Hufbeines im Zehenbereich. Deshalb gehe ich davon aus, daß dies eigentlich der "Grundzustand" ist. Die Anzahl der Fohlen-Oxsprings, die ich gesehen habe, ist sehr begrenzt. Wer hat Beispiele für starke Einziehungen an der Hufbeinspitze bereits beim Fohlen?
Das Hufbein ist im Wachstum noch diversen Umformungsprozessen unterworfen. Eine "Atrophie" muß nicht störend sein, wenn sie nicht massiv ist. Knochen passen sich ja Belastungssituationen an, deshalb kann so ein Umbauprozeß auch sehr funktional sein.
Viele erwachsene Pferde haben dann diese gleichmäßige Rundung nicht mehr, sondern einen etwas abgeflachten Kreisbogen: http://www.klinik-fuer-pferde.net/pics/ ... ung/k4.jpg
Bei manchen ist real eine "Einziehung" vorhanden: [url]http://www.tierärzte-espelkamp.de/s/cc_images/cache_2429709220.jpg?t=1352851175[/url]
Und bei manchen sieht es dann so aus, wie die Hufbeine in Tinas pdf, von sowas habe ich jetzt kein Röntgenbild gefunden.

Ab welcher Grenze genau so ein Befund "pathologisch" zu nennen ist, weiß ich nicht. Aber die massiven Einziehungen sind m. E. eben nicht mehr im "Referenzbereich". Und da fange ich an, mich zu fragen "was genau ist die Ursache und wie kann man gegenanarbeiten?" Zumal die beiden Ansätze, die mir dazu eingefallen sind, genau gegensätzliches Arbeiten erforderlich machen würden.

Edit: der eine Link tut's aus einem mir unerfindlichen Grund nicht. Copy/Paste, please... :)

Re: Die Crena und die Evolution

Verfasst: Sa 9. Nov 2013, 21:28
von Nupur
Das ist eine hochinteressante Diuskussion, mit der ich mich schon vor Jahren befasst habe. Leider habe ich keinen Experten gefunden, der die Fragen zufriedenstellend ausräumen konnte.
Die Lehrmeinung folgt entweder der Richtung einer druck- und spannungsbedingten Umbildung, oder der einer Erbanlage.
Wenn ich mir den Aufbau einer Rindergliedmaße ansehe, und daneben die eines Pferdes stelle, und die völlige Übereinstimmung oberhalb der Fessel bemerke, dann muß ich mir die Frage stellen: Hat sich die Zehe im einen Fall verdoppelt, oder eher im anderen Fall vereinfacht?! Evolutionär haben sich die Arten wohl schon sehr früh getrennt und Funde scheinen da auch noch nicht geholfen zu haben.
Aber nachdenklich macht es schon.

Re: Die Crena und die Evolution

Verfasst: Sa 9. Nov 2013, 21:47
von Evolution
Nupur hat geschrieben:Wenn ich mir den Aufbau einer Rindergliedmaße ansehe, und daneben die eines Pferdes stelle, und die völlige Übereinstimmung oberhalb der Fessel bemerke, dann muß ich mir die Frage stellen: Hat sich die Zehe im einen Fall verdoppelt, oder eher im anderen Fall vereinfacht?! Evolutionär haben sich die Arten wohl schon sehr früh getrennt und Funde scheinen da auch noch nicht geholfen zu haben.
Aber nachdenklich macht es schon.
*lach* Nupur, doch, das ist gut belegt. Als die Wirbeltiere an Land gingen, hatten sie noch 5, 6, 7, 8 Finger an jeder Gliedmaße. Aus irgendeinem Grund hat sich die Fünffingrigkeit durchgesetzt. ALLE Tetrapoden haben eigentlich 5 Finger. Sind weniger davon da, dann heißt das, daß im Laufe der Evolution da was verloren gegangen ist. Weil's praktischer war, nur noch 4, 3, 2, 1 oder gar keinen Finger mehr zu haben.
Die Zehe der Paarhufer hat sich nicht verdoppelt. Das sind Mittel- und Ringfinger und die dazugehörigen Mittelhandknochen sind zu einem Knochen verschmolzen.

Was sind denn Deine praktischen Arbeitserfahrungen mit Pferden, die einen solchen Befund aufweisen?

Re: Die Crena und die Evolution

Verfasst: Sa 9. Nov 2013, 21:48
von TinaH
*edit* Ulrike hat schon alles aufgeklärt, aber ich laß meinen Text mal so stehen, bevor noch jemand was schreibt 8-)

Nupur hat geschrieben: Hat sich die Zehe im einen Fall verdoppelt, oder eher im anderen Fall vereinfacht?! Evolutionär haben sich die Arten wohl schon sehr früh getrennt und Funde scheinen da auch noch nicht geholfen zu haben.
Du meinst, die Paarhufer hätten sich aus den Einhufern entwickelt?
Ist es nicht so, daß das Urpferdchen sogar auf mehreren Zehen gelaufen ist?
Ich steh wohl grad auf dem Schlauch, wie Du das meinst...


Also mein großer Kaltblüter hat beidseits an den Hinterhufen eine leichte Delle/Verbreiterung in der WL. Kein richtiges Loch und als Hornsäule würde ich das auch nicht bezeichnen. Vorn hab ich nix bemerkt.
Beim kleinen Kaltblüter hab ich heute erst die Beschläge abgenommen und erstmal nichts großartig bearbeitet. Da werde ich morgen mal "nachforschen".
Die Stute kriegt nächstes WE neue Beschläge, da werde ich dann auch drauf achten.